So wild die Saison im College Football war: Das letzte Wochenende verlief dann doch eher überraschungsfrei. Alabama pulverisierte mal wieder Georgia, Michigan demolierte Iowa und Cincinnati holte sich seine verdiente zweite Perfect-Season in Folge.
Als Lohn gibt es jetzt die erste College-Football-Playoffeinladung für einen Mid-Major. So sehr dies den Granden widerstrebte: Sie hatten keinen Ausweg mehr.
Das Semifinale findet heuer am Silvesterabend statt – und zwar mit folgenden Ansetzungen:
- 31.12. Cotton Bowl, 21h30: #1 Alabama – #4 Cincinnati
- 31.12./01.01. Orange Bowl 1h30: #2 Michigan – #3 Georgia
Aber bevor es soweit ist, gibt es noch das letzte Wochenende aufzuarbeiten, und da beantworten wieder Jan Weckwerth (Triple Option) und Christian Schimmel (Der Draft) meine (korsakoffs) Fragen – heute zu all unserer Freude eine ungewohnt kontroverse Diskussion.
1) SEC-Finale: Georgia hatte zum wiederholten Male keine Chance gegen die Super-Offense von Alabama. War dieses SEC-Finale der letzte Weckruf für Kirby Smart, dass er umdenken und finally wie sein Lehrmeister Nick Saban der Offense wirklich die vollumfängliche Aufmerksamkeit schenken muss, wenn er Georgia zum „next step“ verhelfen will?
Jan Weckwerth: Ich bin mir nicht sicher, ob dieses Spiel der richtige Gradmesser dafür ist. Ein paar ungeordnete Gedanken dazu:
- Smart hat eigentlich ja längst umgedacht: Er holte sich den Air-Raid- und NFL-erfahrenen OffCoord Todd Monken ebenso wie den damals sehr begehrten QB JT Daniels. Dazu rekrutierte er jüngst sehr gute Skill Player: Top-Talente wie WR George Pickens und WR Dominick Blaylock ebenso wie die Mega-TEs Darnell Washington und Brock Bowers. Die beiden Receiver Marcus Rosemy-Jacksaint und Arian Smith waren in den Top 60 ihres Jahrgangs. Hier hatte Smart allerdings auch einiges Pech mit Verletzungen in den letzten Jahren zu beklagen.
- Dieses Jahr war der Abstand zwischen der Offense Alabamas und der Georgias selbst in den advanced Stats nicht so groß. Vor dem Spiel stand Georgia nach SP+ landesweit auf Rang #2, Alabama auf #3 (wenngleich diese Platzierungen dem Eye Test nicht ganz standhalten).
- Alabama hatte selbst in einigen Spielen größere Probleme mit seiner Offense. Eine Woche vorher blieb man im Iron Bowl über die ersten drei Quarter punktlos und hätte eigentlich verlieren müssen.
- Georgias Defense war über die gesamte Saison konstant absolut hochklassig, eine der besten, die ich je gesehen habe – und ja, auch gegen sehr gute Offenses. Bis auf dieses Spiel.
Es ist nunmal, wie es ist: Saban hat einfach Smarts Nummer. Das klappt mit Offense, aber ebenfalls in einem Spiel wie dem National Championship Game 2018, das nach regulärer Spielzeit „nur“ 20-20 stand.
Irgendwann muss Georgia diese Hürde einfach mal überwinden, sonst setzt sich das in den Köpfen fest – wenn es das nicht schon längst getan hat.
Christian Schimmel: Wir reden von einem Spiel. Die Stärke von Georgias Defense hat über das Jahr eine Lobpreisung nach der nächsten erfahren, und das zu Recht. Im Übrigen kann Georgia immer noch den Titel gewinnen und dann sieht sich Smart eher bestätigt.
Weiterhin versteh ich die Frage nicht. Seit wann schenkt Nick Saban seiner Offense die vollumfängliche Aufmerksamkeit? Die These halte ich für Kappes. Saban hat sich im Bereich der Offense verändert und sich an die Rahmendbedingungen angepasst. Das hat er aber für die Defense genauso getan, das wird nur weit weniger gesehen, weil es eben weit weniger offensichtlich für die Masse der Fans ist.
Gleichwohl bin ich der Meinung, dass Georgia diesen Schritt in der Offense noch gehen muss. Die Art von Offense ist super gegen mittelmäßige Gegner und schlechter, aber gegen die Top 5% bist du eben auch ein Stück weit von ihr abhängig, weil sie kaum einen Plan B erlaubt. Insofern ja, Georgia muss sich anpassen, aber wir sollten vorsichtig sein, zu viele Schlüsse aus einem Spiel zu ziehen
2) Sollte es im National Championship Game zu einem Wiedersehen kommen: Was können die Bulldogs besser machen, wenn sie nicht drauf hoffen wollen, dass Alabamas QB Bryce Young das Nervenflattern bekommt oder der Ausfall von WR John Metchie alles rettet?
Jan Weckwerth: Wie gesagt, in punkto Verletzungen von Skill Players sollte Alabama nicht zu doll jammern, da ist Georgia über die vergangenen zwei Saisons doch etwas schlechter dran gewesen.
Die wichtigste Frage, die Smart und Monken sich stellen müssen – und zwar auch schon fürs Halbfinale gegen Michigan: Will man wirklich weiter mit dem ehemaligen Walk-on QB Stetson Bennett spielen oder nicht doch zu JT Daniels zurück? Der mag drei Scrambles weniger bieten, hat dafür meiner Ansicht nach ein höheres Ceiling im Passing.
Ansonsten kam wieder das alte – und eigentlich überwunden geglaubte – Problem des fehlenden Passrushs zurück, was auch, aber nicht nur an der Suspendierung von dem designierten Top-Prospect Adam Anderson lag. Hier bräuchte es dringend Verbesserungen, damit die ILBs nicht dauernd auf Blitzes geschickt werden müssen.
Christian Schimmel: Ich hoffe schon, wie oben angesprochen, dass sie offensiv ein paar mehr Ideen, insbesondere im Passspiel, haben. Da war die Crimson Tide doch sehr verwundbar. Defensiv gehe ich davon aus, dass Alabama weiter werfen wird. Kommt Georgia auf Gedeih und Verderb nicht zum Quarterback, müssen die Bulldogs notfalls in den sauren Apfel beißen und 7 ½ Leute droppen – der halbe ist der, der als zusätzlicher Spy für Young agiert.
3) Alabama-QB Bryce Young – Heisman Winner?
Jan Weckwerth: Ja, kein Zweifel für mich. Ich schrieb schon nach seinem genialen TD-Pass auf Ja’Corey Brooks im Iron Bowl, dass das sein persönlicher Heisman-Moment sein könnte. Nun kam ein Spiel dazu, in der als erster Quarterback die als übermächtig geltende Georgia-Defense knacken konnte – und wie!
Diese College-Saison hatte sich kein Kandidat deutlich herauskristallisiert, daher war klar, dass es auf die letzten Wochen ankommen würde.
Ein Defender wird es erneut nicht werden, das hätte man seinerzeit eh mit Ndamukong Suh erledigen müssen. Zudem bleibt die Frage, ob Aidan Hutchinson nicht doch nur der zweitbeste Verteidiger hinter Alabamas OLB Will Anderson ist. Doch erneut zwei Bama-Boys im Finale (und damit auch zwei Defense-Spieler) wollte man wohl vermeiden.
Christian Schimmel: Von Young als Heisman-Gewinner ist fest auszugehen. Alle Eingeladenen hatten ihre Momente, aber der von Young im SEC-Finale war der markanteste.
4) Michigan dominiert wie erwartet das Big-Ten-Finale. Nach satten fünf Jahren ist Jim Harbaugh dort angekommen, wo er sich selbst bei Amtsantritt gesehen hat – warum hat 2021 das geklappt, was davor jahrelang schiefgelaufen ist?
Jan Weckwerth: Dieses Jahr standen die Sterne einfach richtig. Oft genug ist Harbaugh deutlich an Ohio State gescheitert, als es um alles ging. Nun konnte man die Buckeyes mit Physis und einer variableren Defense endlich einmal bezwingen. Das Championship Game war dann nur noch Formsache.
Christian Schimmel: Ich denke, dass man bei Michigans Durchbruch in diesem Jahr bei der Defense starten muss. Zwei der stärksten Edge Rusher waren schon ein enormer Faktor gegen Ohio State. Dazu zieht sich durch das Team eine bombastische Physis. Die gewinnt nicht immer gegen Geschwindigkeit, aber heuer war es mehr als ausreichend. Mein Eindruck bei diesem Team ist auch, dass der Coaching Staff es in dieser Saison schafft, die Stärken auf beiden Seiten des Balles zu betonen. Es wirkt einfach alles „rund“.
5) Was hat Oklahoma State im Big-12 Finale so falsch gemacht, dass es die goldene Chance so achtlos weggeworfen hat?
Jan Weckwerth: Dafür bräuchte ich drei Seiten Platz, und die will ich mir nicht nehmen. Stichwortartig:
- Eine schlimme Leistung von QB Spencer Sanders. Der leidet grundsätzlich unter starken Schwankungen, doch am vergangenen Wochenende sahen wir fast nur den „schlechten Spender Sanders“. Zu viele wirklich üble Würfe.
- Eine ebenso schlimme Leistung der Cowboys O-Line, die von Baylors D-Line vollkommen dominiert wurde – womit ich in der Form niemals gerechnet hätte.
- Der kurzfristige Ausfall von RB Jaylen Warren: Die kleine kräftige Bowlingkugel konnte hinter der Line und auch in Short-Yardage-Situationen über die Saison ziemlich eindrucksvoll performen. Seine Backups scheiterten dagegen auf (bzw.: vor) ganzer Linie, und das nicht erst beim letzten Play.
- Selbst der beeindruckende DC Jim Knowles (der nun von Ohio State abgeworben wurde) muss sich etwas ankreiden lassen: Meiner Ansicht nach hat er viel zu lange an einer Off Zone Defense festgehalten, die zwar gegen Oklahoma super funktionierte, nun allerdings dem unerfahrenen Backup QB Blake Shapen zu viele schnelle Completions ermöglichte. Als Knowles den Druck erhöhte, wars dann auch vorbei. In der zweiten Halbzeit machte Baylor keinen Punkt mehr. Aber wenn die eigene Offense so gar nicht hilft…
6) Cincinnati hat als erster Mid-Major das College Football Playoff erreicht. Hoch verdient, möchte man ergänzen. Jetzt wartet als Lohn der ultimative Test: Death Star Alabama. Wie sieht dein Bearcats-Gameplan gegen Bama aus?
Jan Weckwerth: Ich werde diese Sätze wohl bitterlich bereuen, aber ich sehe das Matchup aus Perspektive der Bearcats gar nicht sooo ungünstig – was nicht bedeutet, dass Alabama nicht doch klarer Favorit ist.
Nur: Die aggressive Man Press mit schneller Pressure von der D-Line und einigen Blitzes der Linebacker könnte QB Young ein paar mehr Probleme bereiten. Die outside CBs sind schwer zu bezwingen, insbesondere Ahmad Gardner konnte in den letzten beiden (!) Saisons kaum einmal geknackt werden. Wenn Cincinnati diese Saison Probleme hatte, dann vor allem gegen Power-Running, doch damit kann Alabama auch aufgrund von Verletzungen und nicht idealem O-Line Play nicht ganz so dienen wie üblich.
Auf der anderen Seite hat sich die Offense um QB Desmond Ridder enorm gesteigert. Sie verwaltet längst nicht mehr nur und verlässt sich auf die Defense, sondern kann auf ganz unterschiedliche Weise gewinnen. Power Running, Zone Read, Pässe auf die TEs, deep shots nach außen. Das ist mittlerweile eine relativ komplette und schwer ausrechenbare Offense, die Alabamas Defense auf keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen darf.
Ich rechne daher mit einem engeren Spiel als die meisten.
Christian Schimmel: Auburn, Texas A&M und andere haben bewiesen wie shaky Alabamas Offense ist, wenn Young den Ball nach kurzer Zeit loswerden muss. Young zum schnellen Werfen zu zwingen wäre defensiv meine Prio 1. Offensiv glaube ich, das Cincinnati von ihrem Dual Thread Quarterback Desmond Ridder profitiert. So etwas hat Bama heuer nicht oft gesehen und könnte den Bearcats Möglichkeiten eröffnen.
7) Utah hat Oregon zum zweiten Mal abgeschossen und Kyle Wittingham damit den ersten Pac-12 Titel beschert. Welche Coaches im College Football würdest du guten Gewissens über Wittingham ranken?
Jan Weckwerth: Im Vakuum wenige. Wir wissen allerdings allesamt nicht, ob er bei einem großen Programm mit all den Distractions ähnlich auftrumpfen würde. Aber was er bei den Utes Jahr für Jahr leistet, kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Der Gameplan (plus die Execution) vom ersten Spiel gegen Oregon ist vielleicht meine #1 der gesamten College Football-Saison.
Man muss sich das nochmal vor Augen führen: Nach 2019 verlor Whittingham fast seine komplette Starting Defense – alle Abgewanderten sind übrigens in der NFL gelandet, und das waren beileibe nicht alles hohe Recruits.
In der Offense gingen QB Tyler Huntley und RB Zack Moss in die NFL und zwei wichtige Receiver ins Transfer Portal. 2020 verunglückte sein fantastischer Freshman-RB Ty Jordan tödlich, 2021 wurde dessen bester Freund Aaron Lowe erschossen. Nach drei Spielen der Saison 2021 ging der bisherige Starting-QB Charlie Brewer ins Transfer-Portal. Diese Menge an Abgängen verbunden mit schlimmen Tragödien – und Whittingham schaffte es dennoch, eine solche Truppe zu formen. Bekomme fast Gänsehaut, wenn ich darüber schreibe.
Christian Schimmel: Auch bei mir: Wenige. Wobei ich auf die jüngere Geschichte verweise, Coaches die ich gesehen habe. Saban, Urban Meyer, Dabo Swinney (auch wenn jetzt wo er beide Koordinatoren verliert sich wirklich zeigen wird, wie gut er ist). Lincoln Riley. Vermutlich vergesse ich noch einige, aber Wittingham in den Top 5 zu haben fühlt sich richtig an.
8) Pitt-QB Kenny Pickett hat mit seinem Fake-Slide vielleicht die Aktion des letzten Wochenendes gesetzt und damit entscheidenden Beitrag zum Conference-Titel der Pitt Panthers gegen Wake Forest geliefert. Ich bin gespalten: Schlitzohrig ja – und auch wegen der perfekten Umsetzung echt geiler Move. Aber das ist doch eine bittere Regel-Lücke, die an Unfairness der Defense gegenüber grenzt. Dein Take dazu?
Jan Weckwerth: Als ich es sah, war es genau dieses Wort Schlitzohrigkeit, das mir durch den Kopf schoss. Der Fake Slide war halt einfach auch perfekt durchgeführt. Daher ließ ich mich spontan und leichtfertig zu einem Tweet hinreißen, für den ich viel Kritik bekam.
Wie gesagt, war im und für den Moment gedacht, nicht für die spätere Reflexion.
Natürlich muss das dringend unterbunden werden. Man sieht genau, wie CB Ja’Sir Taylor (#6) und S Nick Andersen (#45) abstoppen. Gerade weil die Defenses sich eh nichts mehr erlauben dürfen und bei jedem Windhauch eine Personal Foul-Strafe kassieren, hätte das Play hier gestoppt werden müssen. Nur scheint es, als ob das nach aktueller Regelauslegung nicht ganz so leicht ist. Da wird sicherlich in den kommenden Monaten eine Anpassung folgen. Ansonsten dürften Defender künftig – wohlgemerkt zurecht – auf Nummer sicher gehen und den nächsten QB beim Slide wegschädeln.
Dennoch: Loophole perfekt ausgenutzt, das nötigt einen gewissen Respekt ab.
Christian Schimmel: Kein Fan von dem Play, zumal die Defender im Zweifel nun einschlagen werden, was die Idee der Regel konterkariert. Da muss in der Offseason eine sprachliche Anpassung her.
9) Welcher Bowl außer den beiden Playoff-Semifinals ist jetzt mal vorausblickend der, auf den du dich am meisten freust?
Jan Weckwerth: Das kann ich noch nicht sagen, weil das substanziell davon abhängt, welche Teams in annähender Bestbesetzung auflaufen werden.
Von den großen Bowls ist der Rose Bowl immer ein Muss. Hat dieses Mal nebenbei ein ziemlich attraktives Matchup mit Ohio State und Utah.
Bei den kleineren Bowls schaue ich immer zuerst auf „meine“ MAC. Da stechen der Cure Bowl (Northern Illinois vs. Coastal Carolina) und der Arizona Bowl (Central Michigan vs. Boise State) hervor.
Christian Schimmel: Der Alamo Bowl am 29/30.12. zwischen Oregon und Oklahoma wegen der Zillionen an Storylines. Außerdem hat der Alamo Bowl oft sehr spektakuläre Spiele produziert.
10) Und dann müssen wir noch über das wilde Trainerkarussell sprechen. Heute: Florida. Was zeichnet ausgerechnet Bill Napier aus als den „richtigen“ Mann für das in permanenter Transition befindliche Gators-Programm?
Jan Weckwerth: Napier ist mit einem klaren Plan nach Louisiana gekommen und hat den sofort hervorragend umsetzen können. In allen seinen vier Saisons bei den Ragin‘ Cajuns konnte er das Sun Belt Championship Game erreichen und nun auch erstmals gewinnen (2020 fiel es der Pandemie zum Opfer). Napier ist ein hervorragender Recruiter (die letzten drei Jahre die #1 Klasse der Conference) und kann die Talente eben auch weiterentwickeln.
Dazu bringt er seinen hervorragenden Staff mit nach Gainesville. Der junge DC Patrick Toney leistete die letzten Jahre sensationelle Arbeit und wird meiner Ansicht nach demnächst selbst Kandidat für einen Cheftrainerposten. RB Coach Jabbar Juluke gehört zu den besten auf seiner Position und war einer der Hauptgründe, warum die Ragin‘ Cajuns die letzten Saisons mit einer dreiköpfigen Laufattacke in unterschiedlicher Besetzung durchgängig erfolgreich waren.
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