Letzte Woche haben wir vier von sechs NFL-Wildcard-Spielen richtig getippt. Die Bills mussten ein bisschen mehr schwitzen als erwartet, aber Buccaneers, Saints und Baltimore spielten das erwartet souverän nach Hause. Wie die Rams Seattle abwürgten und die Browns einen Steelers-Kollaps nach dem anderen zum Touchdown verwerteten, hat uns dagegen so verblüfft wie alle Beobachter. Dass es die Steelers am Ende fast noch einmal knapp gemacht hätten, bestätigt uns in der Tendenz in unserer Cleveland-Skepsis.
Lasset uns heute auf das spektakuläre NFL Divisional Playoff am anstehenden Wochenende blicken. Thomas macht wieder die beiden NFC-Spiele. Fabian behandelt die AFC.
Kein Mut zum Upset-Tipp
Psaier: Los Angeles Rams @ Green Bay Packers (Samstag, 22.40 Uhr)
Zum Playoffauftakt trifft Packers-Headcoach Matt LaFleur auf einen seiner alten Lehrmeister, den sieben Jahre jüngeren (!) Rams-Coach Sean McVay. Die Partie hat durchaus ein paar Ingredenzien für ein üppiges NFL-Upset:
- Die Rams-Defense ist spätestens seit dem Kantersieg letzte Woche in Seattle Gesprächtsthema der Stunde. Wie diese extrem moderne, sehr flexible Zone-Defense mit ihren eintausend Gesichtern selbst ohne DT Aaron Donald die Russell-Wilson-Offense dominierte, hatte Stil.
- In CB Jalen Ramsey gibt es einen Star-Cornerback als Antwort auf den recht stark auf WR Davante Adams zugeschnittenen Receiver-Corps der Packers (Kritikpunkt: Es gibt zu wenig Tiefe dahinter)
- Die üble Playoff-Historie der Packers-Run-Defense: Letztes Jahr wurde Green Bay im NFC-Finale vom dem Rams sehr ähnlichen Kyle-Shanahan-49ers-Laufspiel komplett an die Wand genagelt. Auch heuer wieder spielen die Packers 50% ihrer Snaps in leichtem, nicht unbedingt für hohe Run-Defense-Kompatibilität bekannten „Dime-Personal“ (6 Defensive Backs).
Doch was spricht dagegen?
Doch letztlich fehlt mir der Mut, hier mit dem Außenseiter zu gehen. Einmal gibt der NFL MVP in spe Aaron Rodgers in Hochform und voll committed zur neuen Play-Action-Offense den Quarterback.
Zweimal ist Adams selbst für den ultra-athletischen Ramsey ein ziemlich schwieriges Matchup. Der Feintechniker Adams schlachtet jede kleinste Ungeduld gegnerischer Manndecker eiskalt aus. Und sowieso verspricht der Rams-Gameplan kein „Travellen“ von Ramsey und damit wohl nur um die 10-12 face-to-face Snaps dieser beiden Superstars.
Dreimal genießen die Packers trotz der Präsenz von DT Aaron Donald und dem Ausfall von LT David Bakthiari weiter signifikante Vorteile in der Offensive Line, selbst für den Fall, dass Rodgers mal nicht schnell werfen kann.
Viertens hat sich die Run-Defense der Packers verbessert. Drei „Clogger“ vorne in der Line und sehr gute, schnelle 2nd-level-Defender dahinter sollten die größten Lücken verhindern. Die Packers sind #18 in Rush-Defense nach EPA/Play, #17 in PFF Run Defense und #24 in Rush-Stop% der NFL. Nicht überwältigend, aber auch nicht überrumpelt.
Und fünftens: Jared Goff. Der Quarterback der Rams bewies am Samstag mit seinem kaputten Daumen Courage. Aber die Pässe streuten gewaltig. Die schnelle Packers-Defense mit ihren Top-DBs wie Jaire Alexander, Darnell Savage oder Adrian Amos wird ähnliche ducks zu Boden schlagen oder gar abfangen.
Der Weg zum Upset für die Rams ist also da – aber es braucht überwältigende Rushing-Offense und neuerliche absolute Defense-Dominanz. Das ist gegen eine aus allen Rohren zündende Combo Rodgers-Adams etwas viel verlangt. Ich erwarte keinen Shootout, aber einen am Ende des Tages souveränen Packers-Sieg gegen offensiv ohne fitten Quarterback zu limitierte Rams.
Josh Allen und Brian Daboll setzen sich durch
Sommer: Baltimore Ravens @ Buffalo Bills (Sonntag, 2.15 Uhr)
Wäre die spektakuläre Hail Murray in Arizona nicht gewesen, würden die Bills mit einer Serie von elf Siegen in diese Partie mit den Ravens gehen. Das allein attestiert Buffalo schon, dass sie im Verbund einen exzellenten Job machen.
Die Ravens-Defense hat gegen Tennessee hervorragend gespielt. Doch muss man auch berücksichtigen, dass die Titans es ihnen mit ihrem Play-Calling und den unzähligen Early Down Runs ziemlich leicht gemacht haben. Tennessee hatte inklusive der späten Interception auf Early Downs 0.40 EPA pro Pass mehr als pro Run und trotzdem sind sie die Hälfte des Spiels gelaufen. Die beiden fragwürdigen 4th-Down-Entscheidungen haben den Ravens ebenfalls in die Karten gespielt.
In puncto Coaching erwartet die Ravens eine komplette Kehrtwende. Die Bills haben nicht nur die zweitbeste Passing Offense nach den Packers (#2 nach EPA/Dropback, #2 nach Success Rate), sondern OC Brian Daboll hat während der Saison auch auf Early Downs mit der höchsten Rate Pässe gecallt. Die Bills machen das, was sie am besten können. Und darin sind sie nur ungemein schwer zu stoppen.
Die Colts hätten vergangene Woche durchaus gewinnen können. Aber wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass die Bills ungewohnt schwach auf 3rd down waren: nur 2 von 9 Versuchen wurden in ein neues 1st down umgemünzt, durchschnittlich gelang den Bills auf den 3rd downs -0.52 EPA/play – gegenüber 0.27 EPA/play in der regulären Saison, was der zweitbeste Wert war. Trotzdem hat Buffalo „mal eben“ 27 Punkte gescort.
So gut die Ravens-Defense auch auf dem Papier ausschaut – es ist generell für jede Verteidigung der Liga schwierig, diese Bills-Offense zu stoppen. Josh Allen spielt auf MVP-Level, hat eine gute Pass Protection vor ihm und mit Leuten wie Stefon Diggs, Cole Beasley und John Brown tolle Anspielstationen. Es würde mich stark wundern, wenn wir hier eine defensive Meisterleistung sehen.
Taktische Kniffe gegen Lamar Jackson
Es kommt letztendlich darauf an, inwiefern die Bills-Defense Lamar Jackson in den Griff bekommt. Das Run Game der Colts wurde bis auf wenige Chunk-Plays im vierten Viertel gegen softe Pass-Defense weitestgehend von den Bills unter Kontrolle gebracht. Aber Lamar Jackson ist nochmal eine andere Hausnummer. Buffalo hat auch strategisch einige Teams gegen sich laufen lassen, wie etwa die Chiefs. Denn die meisten Runs sind ineffizienter als ein explosiver Pass das Feld hinunter.
Die Titans haben schematisch ein paar Kniffe gezeigt, um die Ravens halbwegs unter Kontrolle zu bringen. Bills-HC Sean McDermott und Co. könnten sich davon etwas abgucken. Es liegt nahe, dass sie die Mitte mit Coverage-Defendern fluten, da Jackson dort am liebsten hinwirft und eher außen seine Schwächen hat. Sie werden sicherlich auch einen Spy auf ihn absetzen, der bei Dropbacks zum Blitzer wird.
Insgesamt glaube ich, dass das Passing Game der Bills einfach zu stark ist. Die Ravens werden alles andere als chancenlos sein und bestimmt für eine spannende Partie sorgen. Aber wenn sie irgendwann aufgrund des Scorings der Bills zu sehr von ihrer offensiven Ausrichtung abweichen müssen, liegt der Vorteil bei Buffalo. Ich tippe auf einen Sieg der Bills vor 6.700 wilden Billsmafia-Fans.
Browns können mithalten, aber wie lange?
Sommer: Cleveland Browns @ Kansas City Chiefs (Sonntag, 21.05 Uhr)
Was eine geile Paarung! Die Chiefs sind natürlich hochgradig favorisiert, konnten über die zweite Saisonhälfte aber selten die Erwartungen erfüllen. Seit der Partie gegen die Jets (35-9), haben Patrick Mahomes und Co. nicht mehr mit mehr als sechs Punkten Unterschied gewinnen können. Oftmals gaben sie sich gegen vermeintlich große Underdogs zu viele Blöße.
Das kann in dieser Woche natürlich ganz anders sein und die Chiefs spulen plötzlich ihr gesamtes Potenzial ab. Gegen eine unterdurchschnittliche Browns-Defense stehen die Chancen zumindest gut, auch wenn RT Mitchell Schwartz weiterhin fehlt und WR Sammy Watkins mit seiner Wadenverletzung zwei Tage infolge nicht trainieren konnte. Wenn die Chiefs „ernst“ machen, kann Cleveland defensiv wenig entgegensetzen.
Daher kommt es auf die Browns-Offense an und die könnte auch diese Woche wieder für Furore sorgen. Cleveland steht offensiv auf Rang 4 in EPA/Dropback (0.27) sowie EPA/Rush (0.06). Wir denken bei den Browns immer an diese grandiose Offensive Line und das Hydra-Run-Game mit Kareem Hunt und Nick Chubb. Doch gerade das Passing Game ist verdammt gut und wird von Kevin Stefanski seit den „Wind-Partien“ gegen die Raiders, Texans und Eagles gerade zu Beginn einer Begegnung vermehrt ausgespielt.
Mehr frühe Pässe von Stefanski
Nach Woche 11 hat Stefanski die Pass Rate auf Early Downs in neutralen Spielsituationen um 15.4 Prozentpunkte erhöht, die größte Steigerung in diesem Zeitraum. Stefanski versucht tendenziell öfter, früh im Spiel explosive Plays durch die Luft zu callen. Die Defense der Chiefs ist nicht sonderlich gut, ist eher schwach gegen den Lauf und muss gegen den Pass auf schematische Kniffe von DC Steve Spagnuolo vertrauen. Für die Browns bietet sich hier allemal die Chance, den Ball gut über den Boden mit Chubb und Hunt zu bewegen und viele Shots mittels Play-Action anzubringen. Cleveland sollte mit seiner Offensive Line die Line of Scrimmage dominieren.
Aber gehen wir davon aus, dass die Browns wieder früh hoch in Führung gehen – wie viel Vorsprung bräuchten sie im zweiten Viertel, damit man nicht mehr an einen Chiefs-Sieg glaubt? Da läuten sofort die Texans-Glocken aus dem letzten Januar, als die Chiefs bis zur Pause (!) einen 0:24-Rückstand gegen Houston aufholten.
Wir könnten hier ein Shootout bei bestem Wetter erleben und die Browns sind aufgrund ihres offensiven Matchups nicht chancenlos. Aber wenn die Chiefs-Offense einen guten Tag erwischt, könnte das Ding wiederum am Ende des dritten Viertels vom Tisch sein, wenn die Browns dazu gezwungen werden, zu passen. Ich glaube nicht wirklich an einen Upset, aber kann mir ein unterhaltsames Spiel vorstellen, in dem wir mehr als 60 Punkte sehen und die Chiefs á la 37-28 gewinnen.
Tom Brady schickt Drew Brees in NFL-Rente
Psaier: New Orleans Saints – Tampa Bay Buccaneers (Sonntag/Montag 00:40 Uhr)
Das NFL Divisional-Wochenende wird abgeschlossen mit dem dritten Aufeinandertreffen von New Orleans Saints und Tampa Bay Buccaneers in der laufenden Saison. Es ist das mutmaßlich letzte Aufeinandertreffen der Quarterback-Oldies Drew Brees (wird heute 42) und Tom Brady (43 Jahre alt).
Die Saints gewannen in der Regular Season zweimal – unter anderem in Woche 9 extrem dominant via Einbahnstraßenfootball 38-3. Solche Resultate sind aber nicht immer eindeutige Vorzeichen. Brady selbst war 2010/11 Augenzeuge davon, als seine Patriots wenige Wochen nach einem 45-3 Kantersieg über die Jets in den Playoffs gegen das gleiche Team zuhause rausflogen. Und auch bei Saints vs. Bucs gilt: Es spricht einiges gegen einen dritten Sieg.
Tampa Bay hat den besseren Quarterback, den besseren Receiving-Corps und leichte Vorteile in der Offensive Line. Aber die Saints haben den besseren Coach. Sean Payton gegen Bruce Arians/Todd Bowles steht 4:0. Viermal gespielt, viermal deutlich gewonnen – im Schnitt mit 34:17.
Aus Bucs-Sicht gibt es am Feld zwei kritische Duelle:
- Saints-DL gegen eine Bucs interior O-Line mit C Ryan Jensen und third string-RG Aaron Stinnie ist ein Alptraum.
- Bucs-WR1 Mike Evans zieht aus unerfindlichen Gründen seit Jahren den Kürzeren gegen Saints-CB Marshon Lattimore.
Vorteile für die Buccaneers
Aber sonst spricht fast alles für Tampa Bay. Arians und OffCoord Byron Leftwich haben ihren Lauf-Fetisch in Early-Downs mittlerweile unter Kontrolle.
Die Offense spielt jetzt ähnlich viel „Brady-Style“ wie „Arians-Style“ (z.B. 27% Play-Action, vor der Bye-Week nur 17%). Die Receiver zünden fantastisch – insbesondere Antonio Brown. Chris Godwin machte letzte Woche trotz unfassbarer fünf Drops 80 Yards und einen Touchdown. Dieser TD war die „neue“ Bucs-Offense in Vollendung: Nach schneller Motion in den Slot ansatzlos die Over-Route gelaufen und der Defense keine Chance gelassen. Individuelles Talent jetzt auch durchs Coaching akzentuiert.
Und natürlich: Brady als Ballverteiler. Man merkt diesem zeitlosen Wunder einfach sein Alter nicht an.
Da ist der eineinhalb Jahre jüngere Brees ganz anders shot! Quickes Kurzpassspiel über WR Thomas, WR Sanders und RB Kamara geht noch – aber wehe die aggressiven Bucs-Linebacker blitzen in Vollbesetzung die instabile Mitte der Saints-O-Line aus! Wehe, RB Alvin Kamara kommt gegen die „stoute“ Bucs-Front nicht ins Laufen!
Das Szenario mit Brees im Rückstand ist wie Horror für Payton und Co. So sehr der Saints-Kader insgesamt vielleicht ausgeglichener und etwas besser gecoacht ist, so ist Tampa an entscheidenden Stellen doch schlicht besser besetzt, um die größte Stärke der Saints (ihre Defense) auszuhebeln.
Freilich muss Tampa seine Drives entschlossener zu Ende spielen als vor einer Woche in Washington. Aber 3rd Downs und Redzone sind ein Fragezeichen, das man lieber hat, als ob man den Ball überhaupt bewegen kann. Ich gehe mit Tampa Bay. Für Brees ist es der letzte Auftritt in einer NFL-Uniform.
Vier von Vier. Respekt!