Coaches Corner – NFL Woche 11

NFL aus der Perspektive der Head Coaches: Spannende In-Game-Entscheidungen vom 11. NFL-Spieltag der Saison 2020/21 unter der Lupe!

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Letzte Woche hatten wir fehlende Aggressivität der Coaches im 2-Minute-Drill und die Strategie des “Offside Drawings” unter der Lupe. Heute: Der Quarterback-Spike, der den Packers auf die Füße gefallen ist (von Thomas), und der doppelte Brady (Florian), der im Monday Night Game für Verwirrung sorgte.

Ein Quarterback-Spike ist nur selten eine gute Idee

“Clock-Management ist extrem wichtig und Du muss es schätzen, auch wenn Du nie perfekt darin sein wirst”, sagte einer der frühen Gurus der Football-Analytics, Homer Smith. Smith schrieb auch: Der Quarterback-Spike ist fast immer ein nutzloser Playcall.

Die Green Bay Packers und ihr Head-Coach Matt LaFleur sahen das am Sonntag gegen die Indianapolis Colts völlig anders, als sie in ihrem letzten Drive im vierten Viertel auf dem Weg zum Ausgleich gleich zweimal zum QB-Spike griffen, um die Uhr anzuhalten. Die Packers lagen in der vorletzten Minute 28-31 zurück und hatten gerade mit dem prächtigen tiefen Pass auf WR Marques Valdez-Scantling die Mittellinie überquert, als sie mit 1:10 Minute auf der Uhr ihr letztes Timeout zogen.

Dieses Timeout ist nachvollziehbar. Offenses brauchen gerade nach großen Raumgewinnen länger, um sich zu sortieren und die vielen Meter das Feld runterzulaufen. Ein Timeout nach einem langen Pass spart üblicherweise mehr Zeit als eines nach einem kurzen Raumgewinn. Auch wenn der Packers-Coach damit seine letzte Auszeit zog, so war das ein gutes “Investment”.

Die direkte Folge daraus war eine eigentlich hübsche Ausgangslage: 70 Sekunden Zeit für 47 Yards, um das Spiel mit Touchdown zu gewinnen – oder mit Fieldgoal in die Verlängerung zu schicken.

Das missratene Clock-Management

Was danach kam, war weniger toll. Das Play-by-Play Skript liest sich so:

Down  Distance Time  Aktion
1     10       1:10  Rodgers for Adams to IND 33 for 14 Yards
1     10       0:58  QB spike
2     10       0:57  Rodgers for Adams to IND 15 for 18 Yards
1     10       0:43  QB spike
2     10       0:42  Rodgers to Tonyan to IND  8 for  7 Yards
3      3       0:12  Pass incomplete
4      3       0:07  Field Goal Crosby zum 31-31

Nicht nur einer – gleich zwei Quarterback-Spikes, um die Uhr anzuhalten, obwohl Green Bay sich bereits in gegnerischer Platzhälfte befand! Wo man den ersten Spike noch mit einem zugedrückten Auge entschuldigen kann (weil er für die nachfolgenden Plays noch alle Spielzug-Optionen am Feld offen lässt und die Offense nicht schnell auf die Zonen entlang der Seitenlinien reduziert ist), so war spätestens der zweite Spike kontraproduktiv.

Coach LaFleurs Team hatte nach Completion auf Davante Adams mit rund 50 Sekunden auf der Uhr die gegnerische Redzone erreicht. 15 Yards vor der Endzone und drei Versuche zum Sieg mit angeflanschter Option auf den Ausgleich sind eine exzellente Ausgangslage, um ein Spiel zu drehen.

Doch anstatt diese Situation auszuschlachten spikten die Packers als erstes den Ball und beraubten sich damit eines wertvollen Versuchs. Genaugenommen: Eines Drittels aller verbliebenen Optionen – aus freien Stücken.

Im 2nd Down spielte QB Aaron Rodgers eine kurze Completion über die Mitte. Mit nur noch 12 Sekunden schon unter Zeitdruck musste Rodgers im 3rd Down schließlich aufpassen, keinen Sack mehr zu kassieren um wenigsten das Field Goal zum Ausgleich zu retten. Rodgers spielte vorsichtig und warf einen Sicherheitspass ohne Chance auf Completion in die Endzone.

Don’t spike!

Der QB-Spike war extrem bitter. Er hielt die Uhr mit reichlich Zeit an, aber fraß etwas sehr viel wichtigeres: Ein wertvolles Down. Chris B. Brown (Smart Football) hat vor fast zehn Jahren in seinem lesenswerten Buch “The Essential Smart Football” rattenscharf analysiert:

[…] the spike should be an ancillary option, forced on the offense only when there are no other alternatives. All too often, however, teams unthinkingly sprint up to the line and spike the ball as if that was the proper – no, the only – course. That is extremely dangerous behaviour.

(The Essential Smart Football / Kapitel “Why Spiking the Ball is Almost Always a Bad Idea”, S. 86)

Ein gut auf die Crunch-Time vorbereitetes Team sollte für solche Situationen einen oder zwei Play-Calls für das nächste 1st Down in petto haben, um die Angriffsserie zu maximieren. Der Packers-Coach und sein Quarterback betrachteten jeden Spielzug isoliert und hatten keinen Plan für den jeweils nächsten Snap. Das kostete letztlich ein, vielleicht sogar eher zwei extrem wertvolle Downs.

Die Packers haben es zustande gebracht, im allerletzten Drive nur ein einziges Mal in die Endzone zu werfen – im vorletzten Down, als eh nur noch wenig Zeit auf der Uhr war und Rodgers in seinen Optionen limitiert war (bloß keinen zu kurzen Pass komplettieren! Selbst laufen nur, wenn der Touchdown 100%ig ist).

Es stimmt, dass Green Bay von kurz vor der eigenen Goal Line aus startend immer fast das ganze Spielfeld überbrücken konnte und das Spiel damit immerhin in die Overtime brachte. Aber Overtime ist nur die halbe Miete. Overtime ist ein halber Sieg. Richtig wäre es gewesen, auf den ganzen Sieg zu spielen und dabei jedes Down zu maximieren. Das ist leider nicht passiert, und die Packers haben sich selbst um eine weitere Chance auf die Ernte ihrer Mühen gebracht. Homer Smith hätte sich bei Rodgers‘ Spike im Grab umgedreht.

Der doppelte Brady und der mutlose Arians

Zu Beginn des vierten Quarters lagen die Buccaneers zu Hause mit sieben Punkten gegen die Rams zurück. Brady schickte sich grade an, sein Team in die gegnerische Hälfte zu führen, als es bei 3rd & 10 zu einem kuriosen Zufall kam. Brady dropped zurück und versucht Mike Evans am First-Down-Marker anzuspielen. Rookie Terrell Lewis hebt seine Arme und fälscht den Ball ab. Dieser fliegt daraufhin zurück in Bradys Arme. Der Bucs-QB reagiert blitzschnell, fängt den Ball geistesgegenwärtig und wirft den Ball einfach ein zweites Mal in Richtung Evans. Diesmal kommt der Ball an. Acht Yards Raumgewinn, Flaggen auf dem Feld. Verwirrung.

Rams-Coach McVay wettet auf die falsche Entscheidung seines Kollegen

Referee Jerome Boger – übrigens Teil der ersten All Black Referee Crew in der NFL-Geschichte an diesem Abend – erhellt den Zuschauer: Illegal Forward Pass durch Tom Brady. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass, sollte der zweite Vorwärtspass ebenfalls vor der Line of Scrimmage erfolgen, dies im Gegensatz zum Illegal Forward Pass hinter der Line of Scrimmage, nicht mit einem Loss of Downs bestraft wird.

Rams-Coach Sean McVay hatte nun die Wahl zwischen 3rd & 15 oder 4th & 2. Er entscheidet sich dafür, die Strafe abzulehnen. Folge: Der Catch von Evans zählte, 4th & 2 Buccaneers. Aber war es die richtige Entscheidung? Blicken wir auf die Zahlen hinter der Entscheidung: Wie sehen Expected Points und Siegwahrscheinlichkeit für die beiden Optionen aus?

EntscheidungExpected PointsWin Probability
Strafe annehmen0.47820.0%
Strafe ablehnen-0.08122.2%
Daten basierend auf nflfastR

Der Rams-Head-Coach traf also die richtige Entscheidung. Es lässt sich jedoch auch ein Case dafür machen, die Strafe anzunehmen.

Arians lässt McVays Wette aufgehen

Die Bucs befanden sich in Rückstand liegend im Niemandsland auf dem Feld und Head Coach Bruce Arians hätte dieses kurze 4th Down, das Rams-Coach McVay ihm schenkte, ausspielen sollen – ja vielleicht sogar müssen.

Die Zahlen sprechen mehr als nur eindeutig dafür. Ben Baldwins Modell misst der Entscheidung, die Offense auf dem Feld zu lassen, eine um fast 6% höhere Siegwahrscheinlichkeit verglichen mit dem Punt bei. Damit ist diese wohl eine der deutlichsten Fehlentscheidungen der letzten Woche. Sie trug mit Sicherheit dazu bei, dass das Spiel aus Bucs-Sicht am Ende verloren ging. Dabei versuchte Coach McVay mit seinem in der zweiten Hälfte sehr Run-lastigen Playcalling beinahe krampfhaft, sie im Spiel zu halten.

Wir müssen also festhalten, dass McVays Ablehnen der Strafe erst hinterrücks durch den Bucs-Punt zu einer guten Entscheidung gemacht wurde. Hätte Arians den Vierten ausgespielt, wäre die Siegwahrscheinlichkeit der Bucs mit 26% knapp 4 % höher gewesen als bei einer angenommenen Strafe (22%).

Penalty-Overtime: Eagles @ Browns

Zugegeben: Solche Situationen treten eher selten auf. In der gesamten Saison gab es bisher lediglich circa eine Handvoll vergleichbarer Situationen. Eine davon ereignete sich ebenfalls in der vergangenen Woche beim Gastspiel der Eagles bei den Browns.

Spät im vierten Quarter standen die Browns bei 3rd & 8 an der Eagles 14 Yard-Linie. Running Back Kareem Hunt bekam den Ball und erlief vier Yards. Jarvis Landry wurde jedoch mit einer Illegal Motion geflagged. Eagles-Head-Coach Doug Pederson musste also zwischen 3rd & 13 von der 19 oder 4th & 4 von der 10 wählen.

Während der Expected-Points-Wert auch hier für das Ablehnen plädiert, rät der Win-Probability-Wert zum Annehmen der Strafe (96.88% vs 96.93%). Die Tendenz ist jedoch verschwindend gering. Noch dazu befinden wir und schon tief im vierten Viertel wo der WP-Wert nicht immer exakt kalibriert und aussagekräftig ist.

Im Gegensatz zur Entscheidung von Sean McVay hing bei Browns – Eagles unsere Güte in diesem Fall nicht von der in der Folge getroffenen Entscheidung des Head Coaches auf der anderen Seite ab (Kick vs Go). Zu groß war zu diesem Zeitpunkt der Unterschied auf dem Scoreboard und zu sicher bereits der Browns-Sieg.

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