Wie geht es weiter im Willamette Valley? Und vor allem – mit wem? Die Oregon Ducks haben ihr größtes Sport-Aushängeschild seit Ashton Eaton und Marcus Mariota verloren. Jemanden, der vier Jahre lang die Fans in Eugene begeisterte. Jemanden, der den Ball übers halbe Feld warf und für ausverkaufte Spielstätten sorgte.
Ach ja, und wer tritt eigentlich die Nachfolge von Justin Herbert an? Der quarterbackt 2020 nicht mehr das Football-Team der Ducks.
Aber bleiben wir zunächst bei Sabrina Ionescu. Die Ausnahmespielerin im Women’s Basketball hat die Westküste inzwischen Richtung New York City und WNBA verlassen. Ihre kongeniale Partnerin, die deutsche Nationalspielerin Satou Sabally, geht mittlerweile für die Dallas Wings und Fenerbahce Istanbul auf Körbejagd. Ohne die beiden (und Ruthy Hebard) steht das WBB-Powerhouse vor einem Neuanfang. Ohne sie wird der Run auf den erneuten Pac-12-Conference-Dreifacherfolg der Oregon Ducks aus Football, Men’s Basketball und Women’s Basketball zur nahezu unerreichbaren Herausforderung.
Die Basketballerinnen sind nicht Einzigen, die Ersatz für ihre zwei besten Student-Athletes finden müssen – und damit wären wir nun beim Football. Zum zweiten Mal innerhalb von wenigen Jahren stehen die Trainer bei den Ducks vor der entscheidenden Frage: Wie ersetzen wir unseren Rekorde brechenden Top-Quarterback? Zur Erinnerung: Die kurzlebigen Antworten hörten nach der Mariota-Ära auf die Namen Vernon Adams (Senior Transfer, 2015 zeitweise angeschlagen) und Dakota Prukop (Graduate Transfer, 2016 drei Niederlagen in Serie), ehe ein gewisser Justin Herbert für knapp vier Jahre übernahm.
Erst mit dem in Wurfdistanz von Autzen Stadium aufgewachsenen Freshman von der Sheldon High fand Oregon wieder eine nachhaltige Lösung auf der Quarterback-Position (wenn man davon bei einem maximal Vier-Jahres-Zyklus überhaupt reden mag).
Rückblick
Senior Justin Herbert führte sein Team im Abschiedsjahr mit einem 12-2-Record in den Rose Bowl und dort zum hauchdünnen 28:27-Sieg über die Wisconsin Badgers. Das College Football Playoff wäre mit nur einer Niederlage weniger wohl drin gewesen. Doch im Season Opener gegen die #16 Auburn Tigers um Freshman Quarterback Bo Nix verspielten die Oregon Ducks eine 21:6-Führung. Und Ende November war für Oregon ein 7:24-Rückstand gegen das ungerankte Arizona State zu groß und somit die Serie von neun Siegen in Serie futsch. Dennoch vertraten die Ducks den Norden der Pac-12 im Championship Game und besiegten dort #5 Utah so deutlich, dass am Ende fast noch die Playoffs rausgesprungen wären.
Entwicklung
Vom 4-8-Tiefpunkt unter dem oft devot wirkenden Chip-Kelly-Zögling Mark Helfrich über das kurze, nicht mit den besten Erinnerungen verbundene 7-6-Zwischenspiel unter Wandervogel Willie Taggart zurück in erfolgreichere Zeiten unter dem bodenständigen O-Line-Trainer Mario Cristobal (9-4 und 12-2). Lange kehrte keine Ruhe ein in Eugene. Die Trainer- und Systemwechsel wirkten sich zwar positiv auf Justin Herberts Erfahrungsschatz aus, verhalfen ihm und der Offense aber nicht zu mehr Produktion. Erst als Cristobal 2018 übernahm und Kontinuität zurück ins Entenlager brachte, machte sich das auch in der Angriffsabteilung bemerkbar.
Das fehlende Puzzleteil der Verteidigung dürfte 2019 Defensive Coordinator Andy Avalos gewesen sein, der aus gleicher Position bei den Boise State Broncos zum Trainerstab Cristobals stieß und aus guten Individualisten eine dominante Passverteidigung machte. Gelegentlicher Streitpunkt: das konservative Play Calling von Offensive Coordinator Marcus Arroyo, der inzwischen Head Coach an der UNLV ist. Ob er es war, der die Ducks an der Rückkehr zur Hochgeschwindigkeit aus Kelly-Zeiten hinderte oder aber die Philosophie intensiven, physischen Footballs seines Cheftrainers, wird sich wohl erst jetzt zeigen.
Eine positive Entwicklung nahmen die Ducks zuletzt aber nicht nur auf dem Feld, sondern auch abseits. Cristobal stockte seinen Kader im dritten Jahr in Serie mit einer Top-15-Klasse auf – und kann inzwischen drei Fünf-Sterne-Talente in seiner Front Seven aufstellen. Als Recruiter ist er wohl schon jetzt der erfolgreichste Oregon-Trainer aller Zeiten.
Offense
Man darf getrost von einem Reboot sprechen. Neuer Offensive Coordinator (Jim Moorhead), neuer Quarterback, neue Offensive Line. Kontinuität – und bekannte Qualität – ist lediglich auf den Skill-Positionen vorhanden, was es Tyler Shough als Herbert-Nachfolger einfacher machen sollte. Bei der Neuformierung der O-Line muss der ehemalige O-Line-Trainer und jetzige Head Coach Mario Cristobal zeigen, dass er zurecht befördert wurde.
Abgänge
Die Ducks verlieren den Gewinner der William V. Campbell Trophy, der akademischen Heisman, Justin Herbert. Sie verlieren den Gewinner der Outland Trophy, Penei Sewell. Und sie verlieren einen kompletten Satz O-Liner, der über Jahre hinweg gemeinsam in den Trenches kämpfte. Shane Lemieux, Jake Hanson, Dallas Warmack und Calvin Throckmorton verließen Eugene Richtung NFL. Star-Tackle Sewell wollte erst bleiben, entschied sich dann coronabedingt gegen die Saison und für den NFL Draft 2021, in dem er einer der ersten Picks sein dürfte. Spielmacher Herbert gibt inzwischen den Los Angeles Chargers die Chance, NFL-Spiele zu gewinnen, ehe deren Defensive das wiederum verhindert.
System
Jim Moorhead ist es, der aus dem Reboot einen Return zu alter Explosivität machen könnte. Der Offensive Coordinator spricht gerne von Balance. Doch hinter diesem nichtssagenden Wort versteckt sich ein Mann, der für den Zündstoff steht, der den Ducks unter Willie Taggart und Marcus Arroyo zuletzt etwas verloren gegangen war. Mit Penn State verwirklichte Moorhead eine Offensive, die 2016 und 2017 zu den explosivsten des Landes gehörte. In den darauffolgenden zwei Jahren erreichte er diese Zahlen als Head Coach von Mississippi State bis zu seiner Entlassung nicht ganz, doch er deutete nun bereits an, in Oregon großen Wert auf explosive Spielzüge zu legen.
Musik dürfte das in den Ohren der Fans sein, die die Kelly’sche Hochgeschwindigkeits-Spread-Offensive schmerzlich vermisst hatten in den vergangenen Jahren. Zwischen 2010 und 2016 gehörten die Ducks in Bezug auf explosive Plays stets zu den besten Zehn in den Vereinigten Staaten. Danach verschwand sie genauso schnell aus dem Playbook wie 2017 noch vor dem Bowl Game der liebe Herr Taggart aus Eugene nach Tallahassee. Das was Oregon anschließend als System aufbot, wirkte immer ein wenig zu zahm für die Fertigkeiten von Justin Herbert hinter einer Wand so groß und breit wie Mount Hood.
Fun Fact am Rande: 1996 spielte Moorhead als Quarterback für die Munich Cowboys.
Quarterback
Tyler Shough bekommt genau eine Chance, diesen Job zu gewinnen – und die ist jetzt. Die Ausgangslage für den Redshirt Sophomore könnte besser kaum sein. Die meisten anderen Backups scheinen noch nicht gerüstet für den realen Wettkampf. Hauptkonkurrent Anthony Brown, Transfer vom Boston College, hat zwar in seiner Karriere mehr Touchdowns geworfen als die anderen Oregon-Ducks-Spielmacher Pässe. Doch er kam erst im Herbst nach Eugene. Er baute nicht wie Shough bereits im Frühling Chemie mit seinem Offensive Coordinator auf, konnte in der Offseason nicht mit den Receivern arbeiten und hat deswegen auch noch nicht den Draht zu und das Ansehen bei seinen Mitspielern, wie es seinem Konkurrenten attestiert wird.
Shough ist kein Herbert, genau wie Adams und Prukop keine Mariotas waren. Er hat bislang nur in der Garbage Time Minuten gesammelt. Doch die Trainer scheinen von seinem Arm überzeugt zu sein. Zu Fuß ist er wohl besser als Herbert unterwegs. Nun hat er eine Saison lang Zeit, die Trainer von seinen Qualitäten (über das Schlagwort Leadership hinaus) zu überzeugen, ehe sonst 2021 wahrscheinlich Ty Thompson, Oregons stärkster Quarterback-Commit aller Zeiten, in den Fahrersitz drängt.
O-Line
Fünf Starter raus, fünf neue rein. Die Offensive Line ist die größte Wackelposition in der Ducks-Offensive. Viele Experten sehen aktuell folgende fünf Spieler vorne:
- LT Steven Jones
- LG T.J. Bass
- C Alex Forsyth
- RG Malaesala Aumavae-Laulu
- RT George Moore
Hier wird sich zeigen, wie viel O-Line-Coach (Miami, Rutgers, FIU, Alabama, Oregon) noch im ehemaligen Offensive Tackle (Miami Hurricanes, Amsterdam Admirals) Cristobal steckt.
Skill-Positionen
Wenn in Eugene mehr über Wide Receiver gesprochen wird als über Runningbacks, dann ist das ungewöhnlich und kann mehrere Gründe haben.
1) Die Läufer-Gruppe der Ducks sieht zum Vorjahr unverändert aus. C.J. Verdell ist in seiner dritten Saison der klare Starter und kann auf zwei 1.000-Yard-Spielzeiten zurückblicken. Hinter sich sieht er auch weiterhin die Backups Travis Dye und Cyrus Habibi-Likio.
2) Qualität und Quantität stimmen bei den Passempfängern. Johnny Johnson III, Jaylon Redd und Mycah Pittman sind die Etablierten in einer umkämpften Positionsgruppe. Die Hype-Maschine Pittman ist nach zwei Verletzungen und nur fünf Spielen in seiner Freshman-Saison gesund und wird 2020 öfter auf der Außenbahn zu finden sein. Johnson war 2019 Anspielstation Nummer eins für Justin Herbert und machte daraus 57 Fänge für 836 Yards und sieben Touchdowns. Redd war in den vergangenen zwei Jahren der Konstante unter Oregons Receivern. Auf sie kommt Druck von innen (vor allem durch den physischen USC-Transfer Devon Williams und den hochgelobten Freshman Kris Hutson) und außen (vier Top-150-Receiver in der Class of 2021).
Bei den Tight Ends dreht sich alles um die Frage, ob Starter Cam McCormick nach zwei durch Verletzungen beendeten Jahren nun endlich eine volle Saison absolvieren wird. Hunter Kampmoyer, Spencer Webb und auch Justin Herberts Bruder Patrick bekamen durch seinen Ausfall 2019 wertvolle Spielzeit, weshalb die Position nun trotz des Abgangs von Jacob Breeland (auf All-Conference-Kurs bis zu seiner Verletzung; jetzt bei den Baltimore Ravens auf der “Non-Football Injury”-Liste) eine der tiefer besetzten der Ducks ist.
Defense
Aus historischer Sicht war es meist die Offensive, die die Oregon Ducks zum Erfolg führte (trotz beispielsweise DeForest Buckner und Arik Armstead, die heute in der NFL zu den Großverdienern gehören). Mit einigen Fragezeichen in der Angriffsabteilung (Quarterback, Offensive Line) könnte nach einer starken ersten Saison unter Defensive Coordinator Andy Avalos auch 2020 die Verteidigung das Prunkstück der Enten sein.
Abgänge
Davon konnte man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgehen, doch dann kam Corona. Wären da nicht die vorzeitigen Abgänge in der Secondary – die Oregon Ducks wären wohl noch stärker aufgestellt als 2019. Aber Nickel-Cornerback Jevon Holland, Cornerback Thomas Graham Jr. und Safety Brady Breeze, Homestate Hero und Defensive MVP im Rose Bowl, entschieden sich im Angesicht der Pandemie gegen eine weitere Saison. Cornerback Deommodore Lenoir dachte auch erst ans Aussetzen, kehrte dann aber doch für seine Senior-Saison zurück. Linebacker Troy Dye, älterer Bruder von Runningback Travis, Spielmacher der Defensive und Stimmungskanone auf dem Spielfeld in den Werbeunterbrechungen, gehört mittlerweile zum Kader der Minnesota Vikings.
System
Avalos hat Oregon auf eine 3-4-Formation umgekrempelt, in der oft ein STUD-Linebacker den Quarterback jagt. So erzeugen die Ducks auch ohne Blitz konstant Druck bringen. Dabei beruht die Defensive auf einem Grundsatz basiert: Flexibilität. Diese stellt gegnerische Offensive häufig vor Rätsel und sorgt für Chaos.
Die Ankunft von Avalos darf dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Talent bei den Ducks auch schon vor seiner Zeit vorhanden war. Der neue Defensive Coordinator wirkte an der Boise State University auf niedrigerem Niveau mit weniger Talent bereits ähnlich. In Eugene traf ein gutes Scheme dann auf die nötige Klasse. Das Ergebnis: Die Ducks dominierten die Conference. Sie hatten sechs Interceptions (20) und sieben Sacks (43) mehr als das nächstbeste Team der Pac-12.
Schlüsselspieler
Sophomore Kayvon Thibodeaux ist der nächste Armstead oder Buckner. Der Top-Rekrut führte eine zerstörerische Defensive Line (22 Tackles for Loss und elf Sacks) 2019 mit neun Sacks an. 2020 ist er als Fünf-Sterne-Verteidiger nicht mehr alleine bei den Oregon Ducks. Die zwei Linebacker Noah Sewell (jüngerer Bruder von Penei) und Justin Flowe könnten bereits in ihrer ersten Saison erheblich Spielzeit sehen. Als Ersatz für Troy Dye wird aber wohl zunächst Junior Isaac Slade-Matautia aus der Mitte auf die Weakside wechseln. Doch ihm sitzen genau wie dem neuen Middle Linebacker Dru Mathis die zwei hochtalentierten Freshmen im Nacken. Die im Avalos-System so wichtige STUD-Rolle füllt Sophomore Mase Funa aus.
In der Secondary bilden die zwei Seniors, Cornerback Lenoir und Safety Nick Pickett, das Gerüst für eine ansonsten recht junge Gruppe. Sie müssen die Sophomores Mykael Wright, Verone McKinley III und Jamall Hill (Nickel) an die Hand nehmen, um 2020 ähnlich erfolgreich zu verteidigen wie im Vorjahr. Fünf-Sterne-Freshman Dontae Manning dürfte zunächst Backup auf Safety sein oder nur dann aufs Feld kommen, wenn die Ducks mit zwei tiefen Safetys spielen.
Ausblick
Zusammengefasst: Eine Offensive, in der unter liberalerem Offensive Coordinator die etablierten Skill-Spieler nur darauf warten, vom neuen Quarterback in Szene gesetzt zu werden, so er denn hinter einer soliden O-Line dirigieren kann. Eine Defense, die trotz zahlreichen Abgängen an Star-Potenzial noch dazu gewonnen hat und im aktuellen System bestens funktioniert.
Spielplan
Natürlich schmerzt der Wegfall des Auftakt-Duells mit den Ohio State Buckeyes aus ästhetischer Sicht. Doch machen wir uns nichts vor: Gegen das von Quarterback Justin Fields angeführte Team hätte Oregon es ganz schwer gehabt. Der optimierte Spielplan hingegen meint es gut mit den Ducks, denn der Norden dürfte aktuell der schwächere Teil der Pac-12 Conference sein. Die zwei Teams aus Washington treten ebenfalls mit neuen Quarterbacks (und Cheftrainern) an. Oregon State am Thanksgiving-Wochenende ist ein Klassiker – der Spielausgang sollte das auch sein. Stanford war in den Mariota-Jahren sowas wie ein Angstgegner, spielte aber zuletzt eine schwache Runde.
Cal könnte – diesmal mit Spielmacher Chase Garbers – zu dem Stolperstein werden. Der war das Team in der vergangenen Saison im Autzen Stadium (dort entstand beim Besuch der Alma Mater das Beitragsbild) ohne den Quarterback zumindest für eine Halbzeit. Das einzige Regular-Season-Duell gegen ein Team aus dem Süden dieses Jahr? Gegen Chip Kelly und sein seit Amtsantritt nicht gerade überzeugendes UCLA-Team.
Fazit
Der Umbruch auf Quarterback sowie in O-Line und Secondary wird nicht spurlos an den Oregon Ducks vorbeigehen. Doch Talent – vor allem in der Defensive – ist immer noch ausreichend vorhanden, um die Regular Season mit 6-0 abzuschließen und dann erneut die Krone in der Conference anzuvisieren.